Das eisige Klima Nordschwedens hielt einst alle ausser die abgehärtesten Seelen fern. Jetzt ist es eine der wertvollsten Ressourcen der Region. In Nordschwedens eisiger Kälte wird aus jeder Herausforderung eine Chance für Volvo: Hier ist Volvo zuhause und perfektioniert seine Winterkompetenz.
Wenn die Spitze der Welt nicht kalt genug ist, gibt es immer noch die Kältekammer.
Endlich entdeckte ich meinen Leihwagen auf dem Parkplatz neben dem Bahnhof in Luleå, Schweden. Seine schlichte, eintönige blaue Farbe lugte unter einer frischen Schneedecke hervor, die im Licht glitzerte. Natürlich war es ein Volvo – was sonst könnte ich für eine Reise durch die halbe Länge dieses langen, sich nach unten erstreckenden Landes wählen? Die Strassen in Schweden sind voller Volvo. Die Sattelschlepper sind Volvo. Die schweren Bagger sind Volvo. Die Kinder sind Volvo. Und ich hatte nicht nur irgendeinen Volvo im Volvo Land, sondern den Inbegriff eines Volvo: einen Volvo Kombi. Ein luxuriöser, langer und flacher V90. Zugegeben, es war ein Plug-in-Hybrid-V90, aber das spielte keine Rolle – dort, wohin ich unterwegs war, waren die Steckdosen auf dem Parkplatz ohnehin für Motorblockheizungen gedacht, nicht für das Laden von schicken Lithium-Ionen-Akkus. Mein Ziel lag im hohen Norden, jenseits des Polarkreises, wo sich inzwischen Europas Hotspot für Kaltwettertests von Fahrzeugen etabliert hat. Wenn Sie ein europäisches Auto fahren, das in den letzten Jahrzehnten produziert wurde, ist es wahrscheinlich auch hier teilweise entwickelt und getestet worden. Alles, was ich dafür brauchte, war eine Tankfüllung, eine Sitzheizung und einen Satz Hakkapeliitta-9-Winterreifen mit Spikes. Aber Moment mal – da war ein Aufkleber auf diesem Auto. Eigentlich waren es drei: einer auf jeder hinteren Seite und einer am Kofferraum. Darauf stand «Bilbolaget.com» in einer seltsamen, fast kursiven Schrift. Wie sich herausstellte, bedeutet «Bilbolaget» auf Schwedisch schlicht «die Autofirma» – eine Sprache, die nicht gerade für blumige Ausschmückungen bekannt ist. Ein Autohändler also. Oder ein Autovertrieb. Oder, nun ja, eine Art Autofirma. Wie auch immer. Ich beschloss, ihn «Bilbo Waggins» zu taufen. Und so begann unser gemeinsames Abenteuer. Bevor ich mich den Feinheiten von Split-Mu-Oberflächen (Erklärung: eine Teststrecke mit verschiedenen Oberflächen mit unterschiedlichen Reibwerten, das simmuliert zum Beispiel eine Strasse, die zur Hälfte vereist ist) widmete und mit Entwicklungsingenieuren über ihre durchtrainierten Gesässe sprach, musste ich mich erst einmal von den langen Flügen und den zwei Ausrutschern erholen, die ich auf dem Weg zum Auto hingelegt hatte. Später ergab sich folgender Austausch mit einem Ingenieur:Dan: «Wie Sie vielleicht wissen, war ich gerade in Nordschweden, wo mir kalt war und ich auf dem Eis ausgerutscht bin – mit Turnschuhen, was keine gute Idee war.» Ingenieur: «Nein.»
Das Fahren auf der Teststrecke von Volvo ist wie das Fahren auf den nahe gelegenen öffentlichen Strassen, nur dass die Folgen für dumme Dinge viel geringer sind.
Ich machte mich auf eine kurze Fahrt von 72 Kilometern nördlich der Ostseestadt Luleå. Es sollte für ein paar Tage das letzte Mal sein, dass ich einen Gehsteig sehen würde. Ich steuerte meinen Wagen schmale, weisse Pfade hinunter, die von fast einem Meter hohen Schneewänden gesäumt waren. Dabei stellte ich mir vor, ich würde wie ein Bobfahrer zwischen Landhäusern hindurch gleiten, die ausnahmslos entweder ketchuprot oder senfgelb gestrichen waren. Mein Ziel war das Aurora Safari Camp, ein Ort, den ein Schwede mir als «Nirgendwo» beschrieben hatte. Die Navigations-App Waze war derselben Meinung – sie gab einfach ein paar Kilometer vor meinem Ziel auf und tat so, als läge mein Ziel mitten auf einer von Birken, Kiefern und Fichten gesäumten Strasse. Schliesslich fand ich den richtigen Ort. Dort wurde ich in einen offenen Glasfaserschlitten gepackt und dann von einem Schneemobil über einen zugefrorenen See gezogen, am Steuer ein junger Mann aus Texas. Natürlich. Auf der gegenüberliegenden Uferseite steht ein einfaches Gebäude mit einer Sauna und einem Loch im Eis, in dem man ein Eisbad nehmen kann. Ich fragte meinen Fahrer, wie hoch seiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit sei, dass mein Herz stehen bleibt, wenn ich reinspringe. «Wenn Sie mich das fragen, dann sollten Sie es vielleicht lieber nicht tun», antwortete er. Fair. Das Aurora Safari Camp besteht aus ein paar gemütlichen, tipiförmigen Zimmern, die dem Aussehen der traditionellen Behausungen der einheimischen Sámi-Bevölkerung nachempfunden sind, einem Gemeinschaftsgebäude und einem Speisesaal, vielen Bäumen und einer intensiven Stille. Das Camp ist eines von immer mehr Touristenattraktionen in der nördlichsten Region Schwedens, die als Norrbotten bekannt ist. Am bekanntesten (und auf Instagram berühmt) ist das Eishotel, das sich in der Nähe der Nordspitze des Landes befindet und seine Gäste seit mehr als 30 Jahren nach Rentierfell riechen lässt. Neuere Ziele wie das Treehotel und das Arctic Bath Hotel in der Nähe des Aurora Safari Camps ziehen neugierige und zahlungskräftige Reisende an, für die moderne skandinavische Architektur Teil des Reizes ist. Laut dem «Swedish Lapland Visitors Board» stieg die Zahl der Übernachtungen in der Region zwischen 2010 und 2019 um 44 Prozent. Die grösste Attraktion neben der neuartigen Erfahrung, in einer Schneekugel zu leben, sind die Nordlichter. Die Aurora Borealis ist Norrbottens aktueller Goldschatz in einer Region, die seit langem von der Ausbeutung ihrer natürlichen Ressourcen wie Holz und Eisenerz lebt. Die Gegend mag einer der besten Orte der Welt sein, um das himmlische Lichtspektakel zu erleben, aber die Aurora ist ein launischer Bastard. Trotz mehrerer Reisen in die eisigen nördlichen Gefilde habe ich die Lichter noch nie gesehen. Sie sollten wahrscheinlich nicht mit mir dorthin reisen. «Schnee, der nahe an 0 °C liegt, wird als «kramsnö» oder «Umarmungsschnee» bezeichnet. Und das ist einfach bezaubernd.» Kein Problem. Bilbo, der Starfotograf Reto und ich mussten am nächsten Morgen früh nach Kiruna, Schwedens nördlichster Stadt, aufbrechen. Also verbrachte ich meinen Nachmittag mit Jonas Gejke, dem CEO von Aurora Safari, der mit stählernem Blick über die schneebedeckte Weite des Sees fuhr, dann hinauf in die benachbarten, dicht bewaldeten Hügel, mit einer kurzen Pause, um an getrockneten Rentierstücken zu knabbern und heissen Preiselbeersaft zu trinken. Von der Teststrecke zur Realität: Volvo im harten Wintereinsatz Die 270 Kilometer lange Fahrt nach Kiruna war vielleicht die ruhigste Reise, die ich je unternommen habe. Bilbo fuhr gelassen über eine scheinbar endlose weisse Rutsche aus Feldwegen. Hier im Polarkreis macht man sich keine Mühe, den Schnee zu schmelzen. Streusalz ist bei den hier herrschenden Temperaturen nutzlos. Verwenden Sie Spikereifen. Fahren Sie vernünftig. Montieren Sie ausserdem riesige Zusatzscheinwerfer direkt vor dem Kühlergrill (keine Sorge, Ihr Auto wird wahrscheinlich nicht überhitzen). Es wird hier früh dunkel und bleibt auch so. Ausserdem sehen die Lichter grossartig aus. Ursprünglich hatte ich geplant, in der Stadt Jokkmokk (ja, das ist auch der Name eines 249-Dollar-Esszimmersets von IKEA) anzuhalten, um einige Kaltwettertests aus erster Hand mitzuerleben. Volvo nutzt den Militärflugplatz in Jokkmokk seit den späten Achtzigern für Wintertests. Die Sicherheitsvorkehrungen sind jedoch streng. Mir wurde gesagt, dass ich unter bestimmten Bedingungen einen Besuch abstatten könnte: Ich dürfte nicht auf dem Gelände fahren. Auf dem Gelände dürften keine Fotos gemacht werden. Ich dürfte nicht zugeben, dass ich dort war. Ich dürfte nicht anerkennen, dass Schweden real ist. Also machte ich mich auf den Weg nach Kiruna, wo das Unternehmen seit 1995 einen Standort unterhält. Das heisst, wenn man glaubt, dass es einen solchen Ort gibt. Was sonst als einen Volvo würde ich für eine Reise durch die halbe Länge dieses langen, hängenden Fingers eines Landes verwenden? In Nordschweden gibt es unzählige Testanlagen für die Automobilindustrie. Überall dort, wo im Winter ein See zufriert, kann eine Testanlage entstehen. Und das trifft auf den grössten Teil Nordschwedens zu. Praktisch alle europäischen Autohersteller testen hier, wo Volvo zuhause ist. Auch einige asiatische Hersteller wagen sich in die Kälte. Hinzu kommen Zulieferer wie Bosch. Der Boom der Wintertests hier begann mit den Zulieferern, als sie Antiblockiersysteme entwickelten, und hält seitdem ungebrochen an.
Sonnenaufgang über Norrbotten. Man sieht, dass dieses Foto nicht im Winter aufgenommen wurde, weil die Sonne aufgeht. Irgendwo da unten spielt ein Radiosender Men at Work, ABBA und die Steve Miller Band hintereinander.
Wo Volvo in extremer Kälte seine Modelle perfektioniert Aber ich wollte bei der Heimmannschaft bleiben. Jokkmokk und Kiruna sind nicht die einzigen Standorte, die Volvo nutzt. Das Unternehmen gibt an, auch mehrere geheime Testgelände zu haben. Die Anlage in Kiruna, die so nahe an der blühenden Metropole (etwa 23 000 Einwohner) liegt, ist in der Regel für Tests von Fahrzeugen reserviert, die Volvo bereits öffentlich vorgestellt hat. Die Werkstatt der Testanlage begann als Hubschrauberhangar, wurde aber im Laufe der Jahre renoviert und erweitert, um bis zu 15 Autos unterzubringen. Es gibt zwei permanente Strecken: eine kurze von knapp 1,6 Kilometern und eine fast 8 Kilometer lange. Beide sehen im Grunde nicht anders aus als die öffentlichen Strassen, auf denen wir früher am Tag gefahren sind – mit nur etwas weniger Verkehr. Die Anlage, die sich um eine Kiesgrube herum erstreckt, beherbergt auch drei Reihen von «Kältekammern». An dem späten Wintertag meines Besuchs kletterte die Aussentemperatur auf milde minus 4 Grad Celsius. Manchmal ist das einfach nicht kalt genug. Wenn man ein Auto in eine dieser klimatisierten Boxen fährt, die auf minus 26 Grad eingestellt sind, ist man buchstäblich verblüfft. Übrigens gilt der März als Beginn dessen, was die Nordschweden als Frühlingswinter bezeichnen, was entweder ein Ausdruck der Hoffnung oder ein ernsthaft deprimierender Ausdruck ist. Wie zu erwarten, überwachen die Entwickler hier die Temperaturen genau. Nicht aus Komfortgründen, sondern weil die Temperaturen die Oberflächen beeinflussen. An der Wand eines Konferenzraums in der Werkstatt hängt eine Grafik mit dem Titel «Fluffaktor», die die Fluffigkeit von Schnee bei verschiedenen Temperaturen quantifiziert. Sehr kalter Schnee wird als «fluffsnö» bezeichnet, während Schnee näher an null Grad als «kramsnö» oder «Umarmungsschnee» bezeichnet wird. Das ist einfach bezaubernd. Eine Vollzeitkraft überwacht diesen Vorgang: der höfliche und ausdruckslose Kiruna-Einheimische Stefan Johansson. Ich kann nicht behaupten, dass das «Testen», das ich auf der langen Strecke durchführte, genau wissenschaftlich war, obwohl ich ABS, Traktionskontrolle und Stabilitätskontrolle fast ununterbrochen aktiviert hatte. Ausserdem muss ich zugeben, dass mein Herumprobieren damit endete, dass Bilbo vollständig im Schnee eingebettet und aufgebockt auf einem Schneehügel in einiger Entfernung von der eigentlichen Strecke stand. Glücklicherweise bestand dieser Hügel aus frisch gefallenem Fluffsnö. Johansson, der mich allein gelassen hatte, um Fotos zu machen, kehrte zurück und sah, wie ich verzweifelt versuchte, rückwärts aus dem Schnee zu fahren, während Reto, bis zur Hüfte im Schnee versunken, vergeblich auf die Vorderseite des Wagens drückte. Erwischt. Johansson sagt nichts, während er ein Bergeseil aus seinem XC60 holt. Nachdem er uns aus dem Schnee gezogen hat, fragt er nur: «Habt ihr auf der Teststrecke alles bekommen, was ihr braucht?» Ich interpretiere das als väterliches «Ich bin nicht sauer, nur enttäuscht». Aber wie er es wirklich gemeint hat, werde ich wohl nie erfahren. Es gibt keine permanente Flotte von Testwagen auf dem Gelände. Wenn ein Test durchgeführt werden muss, werden die Ingenieure, Techniker, Autos und die Ausrüstung vom Hauptsitz in Göteborg in Südschweden heraufgeschickt. Der Aufenthalt dauert in der Regel zwei Wochen. Diese Besuche sind zu einer wichtigen Einnahmequelle für die örtlichen Gemeinden geworden. Der ehemalige Bürgermeister von Arjeplog, Bengt-Urban Fransson, sagte: «Als die internationalen Tester auftauchten, lernten viele von ihnen natürlich Frauen aus der Gegend kennen, was zu vielen Scheidungen führte.» Die Ingenieure, mit denen wir sprachen, versicherten uns, dass es zu keiner derartigen Verbrüderung kommt, und merkten an, dass sie an ihren freien Tagen höchstens mal Skifahren gehen. Es gibt in der Gegend noch andere Dinge zu tun, aber nicht viele. Kiruna liegt neben (und über) der grössten Eisenerzmine der Welt. Die Mine ist der einzige Grund, warum die Stadt existiert. Und das ist auch der Grund, warum die gesamte Stadt Kiruna abgerissen und ein paar Kilometer weiter wieder aufgebaut (oder physisch verlegt) wird. Eine Erweiterung der Mine bedeutet, dass die Stadt nicht mehr auf sicherem Grund stehen wird. Häuser, Restaurants, Pubs, Geschäfte, die alte Holzkirche – alles muss weichen. Zwischen der alten Innenstadt und dem Flughafen ist ein neues Stadtviertel entstanden, das einfallsreich als Neustadt bezeichnet wird. Es sieht aber eher aus wie ein gehobenes Einkaufszentrum im Freien. Und es ist in einem architektonischen Stil gehalten, den ich als zeitgenössischen nordeuropäischen Stil bezeichne: viel Stahl und Glas. Meinen letzten Abend in Schweden verbringe ich im «Bishops Arms» Pub und Hotel in der Altstadt, einem ehemaligen Treffpunkt für Gast-Ingenieure. Es mag ein unechter englischer Pub sein, aber es ist ein gemütlicher Ort mit warmen Holzbalken, niedrigen Decken, einem Kamin und einer Bibliothek. Er liegt nur einen Häuserblock von Gebäuden entfernt, die derzeit abgerissen werden. Ihre Tage sind gezählt, und das macht mich traurig. Unsere Kellnerin hatte keine derartigen Bedenken. «Das alles wird verschwinden», sagte ich und klopfte auf die stabilen eingebauten Bücherregale. Sie antwortete aufgeregt: «Aber wir nehmen alles mit und bringen es in die neue Stadt. Und dort werden wir fünf Stockwerke mit Räumen haben, nicht nur ein Stockwerk. Es wird viel schöner sein.» Ihr liebenswerter Optimismus wurde von den meisten Menschen geteilt, mit denen ich dort sprach. Das gefällt mir. Ich verstehe es nicht, aber es gefällt mir.